Hier wollen wir in loser Reihenfolge Projekttage vorstellen. Vielleicht interessieren Sie sich auch für unsere pädagogischen Angebote? Oder Sie möchten eine Autorenlesung oder ein Zeitzeugengespräch in Ihrer Schule anbieten? Oder Sie möchten mit Ihren SchülerInnen am authentischen Ort einen besonderen Projekttag erleben? Sprechen Sie uns an!

Shanghai: zum Zweiten

Am 25.02.2020 war Shanghai - Steffen Drenger erneut Gast einer Chorklasse des Hegel-Gymnasiums, dieses mal eine 9. Klasse, die sich mit DDR-Geschichte außerhalb der Lehrbücher beschäftigen wollte.

Eine Schülerin hat diese 2 Stunden so beschrieben:

"Früher Punk und Musiker in Magdeburg, heute Moderator und Autor in Weimar, das ist Shanghai Drenger. Mit vielen Geschichten und seiner Gitarre besuchte er unseren Unterricht und zeigte uns so ein Bild von seinem Leben als Punk in der DDR.

Uns gefiel es, ihm zuzuhören, weil Shanghai, wie er früher und auch heute genannt wird, sehr viel zu erzählen hatte. So zum Beispiel erinnerte er an die Arbeiter- Festspiele im Juni 1986 in Magdeburg. Punks sollten die Stadt verlassen, weil „die Stadt sollte sauber sein“. Allein diese Aussage zeigte uns, was man in der DDR von derartigen „Randgruppen“ hielt. Alle Punks sollten zu Hause bleiben oder raus aus der Stadt. Das ließen sie sich natürlich nicht gefallen und beschlossen „…entweder alle bleiben oder alle gehen.“ Da Schanghai Drenger zu diesem Zeitpunkt dienstlich dringend gebraucht wurde (er war Straßenbahn-fahrer), konnte er die Stadt nicht verlassen, aber auch nicht zu Hause bleiben. Somit stand fest, alle bleiben. Später entstand dann in der Szene die Idee, noch mehr Punks einzuladen, aus der ganzen DDR. Also verfassten Shanghai und seine Freunde mehrere Briefe mit dem Absender „Magdeburger Untergrund“ und verschickten diese an Freunde in der ganzen Republik. Wie es nicht anders sein konnte, gelangten die Briefe natürlich in die Hände der Polizei und der Staatssicherheit. Der Verfasser des Briefes wurde vergeblich gesucht, aber er sollte dann doch durch einen dummen Zufall gefunden werden.

Nach einem Rock-Konzert waren Shanghai Drenger und ein paar Freunde auf dem Nachhauseweg und gingen an dem im Brief vereinbarten „Treffpunkt Damaschkeplatz“ vorbei. In diesem Moment, ohne das irgendwer etwas getan hatte, kam ein Streifenwagen und nahm alle mit aufs Revier, wo sie, wie immer, befragt und stundenlang festgehalten wurden, „die Bude füllte sich“. Jeder dachte, es wäre wie immer, doch nach einer Wohnungsdurchsuchung bei Shanghai stand der Verfasser des Briefes fest.

Schon allein dass Wohnungsdurchsuchungen stattfanden, hat mich persönlich sehr schockiert, weil das zeigt, dass damals niemand eine Privatsphäre hatte. Bei ihm wurde die Schreibmaschine, mit der die Einladung verfasst wurde, sichergestellt. Daher wurde Shanghai in das Stasigefängnis Moritzplatz eingeliefert. Es begann sein Jahr im Gefängnis, aufgrund „Versuchter Zusammenrottung“. Um uns das Gefühl, das ihn beschlich, zu beschrieben, wählte er die Worte „…wie im Comic“.

Während seiner Inhaftierung brachte man ihn mehrmals an einen anderen Ort. Einmal auch nach Brandenburg, dem damals größten Gefängnis der DDR.

Hier saß er nun Tür an Tür mit Mördern, Vergewaltigern und „Spionen“ sowie über 3000 Verbrechern, obwohl er nur Briefe an Freunde geschrieben hatte. Nach einem langen Prozess und durch das Eingreifen kirchlicher Kreise wurde seine Zeit im Gefängnis von fast drei Jahren auf ein Jahr reduziert.

Shanghai erzählte uns auch von seiner Band „Vitamin A“. Sie war auch ein Grund für seine Entlassung. Es gab sie von 1982-1985. Zuerst spielte man mit selbst gebastelten Instrumenten, später mit fast unbezahlbaren Gitarren. Zusammen mit seinen Kumpels „Maxe“ und „Snorre“ reiste er durch die ganze DDR und spielte dort in Jungen Gemeinden (JG) der Kirchen. Das waren dann Veranstaltungen, bei denen bis zu 300 Punks die Kirche „stürmten“, um die neue Musik zu hören. Vor allem aber auch, weil die Discomusik für Punks, die sich ja grundsätzlich herausheben wollten, zu langweilig war.  In so manchem Keller wurde gefeiert, aber mit eigener Musik. Doch nach einer halben Stunde stand meist Polizei vor der Tür, um die Veranstaltung aufzulösen.

Wir alle waren überrascht als Shanghai seine Gitarre nahm und uns zwei seiner Songs „Das Land ist dein Land...“ und „Die Welt ist grau“ vorstellte.

Es ist kein Wunder, dass gesellschaftskritische Zeilen wie „Scheißstaat gleich Polizeistaat“ oder „wir schmeißen alle Bonzen raus“ nicht auf Gegenliebe stießen. In seinen Songs wurden versteckt Probleme angesprochen, wie zum Beispiel, dass sich auch Jugendliche nicht immer frei in der DDR bewegen durften. Unter anderem wollte er mit seinen Liedern Veränderung erreichen.

Selbst vor Gericht zeigte er seine Art. Er sah den Gerichtssaal als ein „Podium, um Menschen aufzuklären“ an. Das mochten die Leute im Saal. Manchmal sogar so sehr, dass applaudiert wurde, nachdem er gesprochen hatte. Auch das stieß bei den Offiziellen nicht auf Begeisterung.

„Manchmal frag ich mich, warum ich so war, aber ich steh dazu, weil ich will mich auch nicht verbiegen“.

Wir waren alle sehr begeistert. Jeder war fasziniert von Shanghais Art und seinen Geschichten. Auch als er etwas zu den Bildern, die auf der Whiteboard gezeigt wurden, erzählte, waren wir sehr interessiert. Er hat unser Bild der DDR, das wir erst schwarz-weiß gesehen haben, in Farbe verwandelt. Vielen Dank!

Fotos: Bettina Wernowsky

Mal etwas anderes

Der 20.02.2020: Ein Projekttag für die Schülerinnen und Schüler zweier 12. Klassen des Magdeburger Siemens-Gymnasiums, eine ProjektLesung war das Angebot. Wir durften den Autor Johannes-Michael Worbs nach einigen Jahren wieder begrüßen, mit seinem Roman "Deckname Carola". Spannend und nachvollziehbar beschreibt der ehemalige Pfarrer die Geschichte eines jungen Mädchens, das in den späten1980er Jahren von der Stasi als IM angeworben wurde, gespitzelt hat und nach dem Ende der DDR enttarnt wurde.

Eine Gesprächsrunde mit dem Autor hat diesen etwas anderen Projekttag beschlossen - und Blumen als Dankeschön.

"Herbst 89" auf der anderen Seite des Atlantiks

Es ist der 6. September, 8:45 Uhr. Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern steht vor dem Eingangstor zur Gedenkstätte Moritzplatz. Sie gehen noch nicht hinein, denn ein Mann mit eindrucksvollem Mikro spricht mit ihnen und verkabelt eine Schülerin und einen Schüler.

Es ist ein Drehtag für ein Filmteam aus Berlin. Im Auftrag des Goethe-Institutes in Toronto. Nun gab es ja schon manche Dreharbeiten in der Gedenkstätte, für Film und Fernsehen oder für Dokus, aber was an diesem Freitag gefilmt wurde, war ein kompletter Projekttag der Schülerinnen und Schüler einer 12. Klasse des Hegelgymnasiums Magdeburg.

Und das kam so: Die Leiterin für Spracharbeit und Bildungskooperation vom Goethe-Institut in Toronto, Ulrike Kugler, ist im Mai dieses Jahres durch Internet-Recherchen auf die Projektarbeit, die das Dokumentationszentrum konzipiert, anbietet und durchführt, aufmerksam geworden. Für die Schülerinnen und Schüler in Nordamerika, Kanada und Mexico wird bereits seit 1991 ein Wettbewerb ausgeschrieben, dessen Grundlage ein Kurzfilm ist. Aus diesem Film wiederum ergeben sich dann Fragen und Aufgaben für eigene Projekte der Schülerinnen und Schüler. Drei Preisträger werden mit einer Sprachreise nach Deutschland belohnt. Und für dieses Jahr hatte sich das Goethe-Institut thematisch auf den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution konzentriert und wollte einen Projekttag für diesen Kurzfilm dokumentieren. Projektarbeit in Gruppen, Interviews mit den Schülerinnen und Schülern und ein Gespräch mit einem Zeitzeugen waren die Wünsche des Goethe-Institutes.

Dankenswerterweise hat die Schulleitung des Magdeburger Hegelgymnasiums das Projekt unterstützt, indem der Klasse mit ihrer Geschichtslehrerin Manuela Krayl erlaubt wurde, einen Tag der Schule fern zu bleiben. Die Schülerinnen und Schüler waren bereits zum 3. Mal hier und somit schon mit dem authentischen Ort bekannt. Und nun neugierig auf den Tag.

Nach einer kurzen Vorstellung des Ablaufs wurde zum Einstieg in das Thema „Magdeburg im Herbst 89“, eine Kurzfassung der gleichnamigen Doku ( © Dokumentationszentrum/ Bürgerkomitee Magdeburg e.V.), eingespielt. Anschließend haben sich die Jugendlichen die gleichnamige Ausstellung mit dem Blick auf die Aufgabenstellung erschlossen. Das Besondere dabei war, dass der Fokus auf der Rolle und den Einsatz von Fotografien lag. Also war ein gezielter Blick auf die Fotos in der Ausstellung und auf die zur Auswahl stehenden Fotografien in den Arbeitsmappen gefragt.

Eine kleine Pause schaffte danach den nötigen Freiraum, um wieder aufnahmebereit für den nächsten Programmpunkt zu sein: das Gespräch mit dem ersten Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg nach 1989, Dr. Willi Polte. Die jungen Leute hatten Fragen, die Dr. Polte ausführlich und interessant zu beantworten wusste. Das städtische Leben im Magdeburg der DDR wurde ebenso hinterfragt und nachgefragt, wie das politische Leben danach. Natürlich waren die SchülerInnen auch neugierig auf die Person, die da vor ihnen saß, auf Dr. Polte. Sein Leben und Werden und Wirken war genauso spannend und interessant wie die großen, gesellschaftlichen Vorgänge. Und die Wirkung von Politik und Gesellschaft auf den Einzelnen. Das wichtige Statement von Dr. Polte: eine Demokratie lebt vom Mit-Tun aller und kann auch nur dann gelingen.

Das alles wurde vom Filmteam festgehalten: Dr. Polte wurde interviewt, die Arbeitsergebnisse der SchülerInnen sind nach einer kleinen Pause in der Runde vorgestellt worden, kluge Ergebnisse, eine überraschende Bildauswahl mit teilweise unerwarteter Deutung, interessante Diskussionen, die die intensive Arbeit an diesem Tag widerspiegelten. Noch einige Einzelgespräche, dann war für die Jugendlichen ein intensiver, aber interessanter Projekttag beendet. Aber noch nicht für das Drehteam: Simon Oblescak und sein Kameramann Roman Koblov suchten und fanden noch filmisch interessante Details in Ausstellung und Zellentrakt.

Im Oktober gibt es dann einen fertigen Film - Regie: Simon Oblescak, Kamera: Roman Koblov, Haupt-Darsteller: eine 12. Klasse aus dem Magdeburger Hegel-Gymnasium, die Lehrerin Manuela Krayl und der Gast Dr. Willi Polte.

Vielen Dank an den Journalisten Stefan Harter von der Magdeburger "Volksstimme" für die zeitweise Begleitung des Projektes und den sehr schönen Presse-Artikel in der Ausgabe vom 10.09.2019.

Und hier geht es zum fertigen Filmbeitrag

Fotos: Kordula Zollenkop, Dokumentationszentrum