35 Jahre Friedliche Revolution
Mit einer Feierstunde erinnerte der Landtag Sachsen-Anhalt an die Ereignisse der Friedlichen Revolution vor 35 Jahren.
Schon lange vor den Ereignissen im Herbst 1989 zeichnete sich der drohende Zusammenbruch des SED-Regimes ab. Die mangelnde Legitimität des politischen Systems und der alleinige Machtanspruch der Partei, die wachsenden ökonomischen Schwierigkeiten mit der schlechten Versorgungslage, die im Vergleich zur Bundesrepublik immer deutlicher hervortrat, schließlich die Reformverweigerungen zur Demokratisierung der SED-Parteiführung und nicht zuletzt der gesamten DDR, unter anderem seit dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow 1985, waren maßgebliche Ursachen für die landesweiten Bürgerrechtsbewegungen in der DDR im Herbst 1989. Tausende Ausreisewillige besetzten im Sommer 1989 die bundesrepublikanischen Botschaften und Vertretungen in Prag, Budapest und Warschau, um die Bewilligung ihrer Ausreise zu erzwingen, unter ihnen auch einige Magdeburger, wie etwa Zeitzeuge Jens Schlicht, der im Anschluss Gast des Podiumsgesprächs mit dem Landesbeauftragten Johannes Beleites war. Die Anspannungen in Prag kulminierten, als Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher am 30. September 1989 auf dem Balkon der Prager Botschaft den Botschaftsflüchtlingen ihre Ausreise in die Bundesrepublik verkündete.
„Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…“
Die übrigen Worte des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher gingen im Jubelsturm unter. Mehr als 4.000 DDR-Flüchtlinge lagen sich an diesem Abend des 30. September 1989 in der westdeutschen Botschaft in Prag vor Freude in den Armen. „Die Erleichterung war überall zu spüren“, erinnert sich Jens Schlicht. Wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas betonte, war es geradezu ein glücklicher Umstand, dass die Situation an der Prager Botschaft friedlich gelöst werden konnte. „Das Beispiel der Menschen in den Botschaften in Prag und Warschau leuchtet bis in unsere Tage“, sagte Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger, dieser Mut zur Freiheit sei heute nicht minder wichtig als vor 35 Jahren. „Die Friedliche Revolution ist das wichtigste Ereignis unserer jüngeren Demokratiegeschichte“, erklärte der Landtagspräsident. „Dass diese Revolution gelang, ist unser Glück“, wir seien aber allesamt gefordert, uns für die errungene Demokratie zu engagieren. Wie Johannes Beleites in seiner Rede betonte: „Demokratie ist, wenn die unterschiedlichen Meinungen der Menschen sich im Parlament abbilden.“ Man müsse wieder mehr miteinander reden, die Gräben der Gesellschaft dürften nicht noch weiter aufreißen. „Wir können stolz darauf sein, was wir 1989 vollbracht haben“, meinte der Landesbeauftragte. Auch heute gelte es: „Demokratie: Jetzt und auch in Zukunft.“
Nach der offiziellen Feierstunde lud der Landtagspräsident zu einem gemeinsamen Podiumsgespräch mit Johannes Beleites und lokalen Zeitzeugen ein, die die Ereignisse in Prag teilweise hautnah miterlebt hatten. In enger Zusammenarbeit mit den Zeitzeugen hat Dr. Wolfram von Scheliha, Referent des Landesbeauftragten, die Ausstellung „Fluchtpunkt Botschaft Prag“ entwickelt, die die Biografien jener Menschen betrachtet, die im Sommer 1989 an der Botschaft der Bundesrepublik in Prag ausharrten und auf ihre Ausreise warteten. So auch Gunter Raecke, langjähriger Gaststättenleiter, bis das SED-Regime ihm die Arbeit so lange schwer machte bis das Ehepaar Raecke keinen anderen Weg mehr als die Ausreise sah. An der Prager Botschaft sammelte Gunter Raecke auf einer Fahne des Deutschen Roten Kreuzes zahlreiche Unterschriften von anderen Betroffenen, Ausreisewilligen, Weggefährten und Politikern, wie die von Hans-Dietrich Genscher.
Auf der Internetseite des Landtages sind Videobeiträge u.a. von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und dem Landesbeauftragten Johannes Beleites einsehbar.
Bis 3. Oktober kann zudem die Sonderausstellung des Dokumentationszentrums zum Herbst 1989 im Landtag besichtigt werden.