Geschichtsmesse in Suhl 2025

Was ist Deutschland?

Vom 27. Februar bis 1. März 2025 fand im Ringberghotel in Suhl die 17. Geschichtsmesse der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur statt. Das diesjährige Motto lautete: „Was ist Deutschland? Einheit und Vielfalt 35 Jahre nach der deutschen Vereinigung in Europa“.

Die Veranstalter boten wieder ein abwechslungsreiches Programm. Der 27. Februar startet nach der Begrüßung durch die Direktorin der Bundesstiftung, Dr. Anna Kaminsky, mit einem Einführungsvortrag von Soziologe Prof. Dr. Armin Nassehi, der sich der Frage widmete „Wer sind wir? Identität(en), Nation und Heimat in Deutschland und Europa 35 Jahre nach der Einheit“. Prof. Nassehi beschrieb, dass es auch heute noch spürbare Unterschiede in Identitätswahrnehmungen gibt, die sich als Reservoir kommunikativer Bezüge darstellen. So verstünden Westdeutsche die Frage, ob sie sich als Westdeutsche bezeichnen würden gar nicht, wohingegen Ostdeutsche sofort wüssten, was gemeint sei. Wenn man über Identitäten spricht, so Nassehi, kommen die Ostdeutschen trotzdem schlechter weg, obwohl sich die Westdeutschen selbst keine per se westdeutsche Identität zuschreiben. Dabei seien Identitäten nichts starres, sondern facettenreich und auf eine Person können mehrere Identitätszuschreibungen zutreffen. Bei dem anschließenden Podiumsgespräch, sprachen die ehemalige Ostbeauftragte Iris Gleike, der Dokumentarfilmer und Fernsehjournalist Maksym Melnyke, Ayman Qasarwa als Geschäftsführer der DaMOst und Prof. Nassehi über ihre eigenen Erfahrungen. Fast alle der Podiumsgäste haben selbst Migrationshintergrund und sprachen darüber, mit welchen Stereotypen sie bei ihrer Ankunft im Westen oder Osten konfrontiert wurden und wie das emotionale Ankommen gelingen konnte.

Der zweite Tag der Geschichtsmesse begann mit einem Impulsvortrag von Felix Reuth über die Bedeutung der Künstlichen Intelligenz (KI) in der historisch-politischen Bildung. Laut Reuth könne die KI gleichermaßen als produktives Werkzeug zur Erstellung von digitalen Inhalten, als sprechender Assistent und Überarbeiter und als Anstoß zur Auseinandersetzung mit der historischen Vergangenheit verstanden werden. Dabei sei zu beachten, dass die KI die Gefahr birgt, als Vermittler von falschen Informationen, sogenannten „Halluzinationen“ mit täuschend echt aussehendem Content, zu agieren. Ein besonderes Problem stellt dabei die Unwissenheit der Nutzer dar, die bei einem gefälschten Foto, das zwar ein bekanntes historisches Ereignis darstellt, aber im Detail gefälscht sein kann, das von der KI zugefügte oder weggenommene Element nicht erkennen könnten. Unter der Moderation von Journalist Markus Richter, kamen Felix Reuth, Dr. Anne Lammers von iRights.Lab als Expertin für historisch-politische Bildung im digitalen Zeitalter und Dr. Ulrich Mählert von der Bundesstiftung Aufarbeitung zusammen. Markus Richter stellte die These auf, dass die Arbeit mit einer KI, wobei die KI von einigen wenigen großen Akteuren auf dem Markt bestimmt wird, die dadurch eine gewisse Fülle an Macht erhalten, im Grunde einer Institution wie der Bundesstiftung widerspricht, die sich für die Aufarbeitung eines Machtapparates einsetzt. Die Podiumsgäste waren sich einig, dass bei der Arbeit mit den sozialen Medien und der KI prinzipiell der Beutelsbacher Konsens gilt. Die sozialen Medien nutze man vor allem deshalb um diejenigen zu erreichen, die man sonst gar nicht erreichen würde.

Der weitere Verlauf des Tages war von verschiedenen Panels geprägt. Im Panel „Museen und Ausstellungen I“ stellte unter anderem Dr. Christine Bertram von der Universität Tübingen die Wanderausstellung „Generationen verbinden“ vor, die 2025/2026 mit Videoinstallationen zu deutsch-deutschen Geschichten in mehreren Bundesländern zu sehen sein wird. Hannes Schneider von der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau präsentierte die Wanderausstellung „Einweisungsgrund. Herumtreiberei. Disziplinierung in Venerologischen Stationen und Spezialheimen der DDR“. Gezeigt wird das Zusammenwirken zwischen der Umerziehung in Spezialheimen und die Disziplinierung von Mädchen und Frauen auf den geschlossenen venerologischen Stationen, in denen systematisch sexualisierte Gewalt ausgeübt wurde. Im Panel zu „Forschung, Wissenschaft und Publikationen II“ stellte Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs sein neues Forschungsprojekt mit dem Titel „Angriffe auf die Demokratie“, dass die Geschichte des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz untersucht, wobei die Untersuchung insbesondere auf das Wirken in der Studentenbewegung in den Jahren von 1967 bis 1972 abzielt. Dr. Christoph Drapatz vom Bundeskanzleramt im Arbeitsstab des Obstbeauftragten sprach über die neuen Entwicklungen und Erkenntnisse des Forschungsverbundes für gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht und über die Novelle der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze, wonach die sog. Opferrente erhöht wurde und auf das Kriterium der Bedürftigkeit als Voraussetzung für die Opferrente verzichtet wurde. Zudem wurde eine Vermutungsregelung zur Kausalität zwischen den Repressionsmaßnahmen durch den Staatssicherheitsdienst und den gesundheitlichen Folgeschäden mit aufgenommen. – Aus Sicht des Bürgerkomitees eine längst überfällige Maßnahme. –

Am zweiten Teil des Nachmittages konzentrierte sich das vom Dokumentationszentrum besuchte Panel auf die Psychiatrie in der ehemaligen DDR. PD Dr. Felicitas Söhner stellte das Verbundprojekt „Seelenarbeit im Sozialismus“ vor, das seit 2019 die Rolle der Psychiatrie in der DDR untersucht, insbesondere ihre Funktionen zwischen Hilfe, Verwahrung und Missbrauch. Dabei liegt ein wichtiger Schwerpunkt des Projektes auf der Rolle psychiatrischer Praktiken in den Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit. Im Anschluss stellte Dr. Tilman Wickert stellte den Werkstattbericht der Universitätsmedizin Rostock vor, die zur forensisch-psychiatrischen Arbeit im Haftkrankenhaus der MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen forschen. Welche Rolle spielten Psychiater, die teils direkt als Offiziere dem MfS angehörten, teils als externe Experten dem MfS dienten? Was genau waren ihre Aufgaben und ihr Beitrag im operativen Zusammenwirken mit anderen Diensteinheiten des MfS? Mit Blick auf die Krankenhausakten lassen sich bisher zwei Hypothesen erstellen: (1) Entweder haben die Ärzte das getan, was sie für medizinisch geboten hielten um den Patienten zu behandeln, waren aber in die Vernehmungsstrategie der Staatssicherheit nicht involviert bzw. unwissend darüber, dann läge eine Instrumentalisierung der Ärzte durch den Staatssicherheitsdienst vor, oder aber (2) die Ärzte haben das getan, was die Staatssicherheit ihnen aufgetragen hat um bei den Vernehmungen der Häftlinge, die gleichzeitig Patienten waren, direkten Einfluss auf die Betroffenen zu nehmen und zu kooperieren, was einer Kriminalisierung entspräche.

Den Abschluss des Tages bildete die Filmpräsentation mit anschließendem Podiumsgespräch zum Thema „Nachwendekinder, die Gen Z und ihre Perspektiven“. Dabei wurden Ausschnitte aus dem Seriendokumentarfilm „(K)Einheit – Wie die Gen Z über den Osten denkt“ gezeigt. Der Film verfolgt folgenden Ansatz: Die Mauer ist gefallen und die Wiedervereinigung besteht seit über 30 Jahren, doch ihre Schatten reichen bis in die Gegenwart. Junge Ostdeutsche, geboren nach 1997, sehen sich mit strukturellen Unterschieden und ungleichen Lebensrealitäten konfrontiert – was bedeutet das für ihr Selbstverständnis in einem vereinten Deutschland? Nora Prüfer vom ZZF Potsdam sprach danach mit Vanessa Beyer, der Co-Projektleitung von (K)Einheit sowie Mazlum Coşkunsu, der Pharmazie studiert hat und in dem Film selbst zu Wort kommt. Schriftsteller Lukas Rietzschel vervollständigte die Gesprächsrunde als junger ostdeutscher Autor, der selbst mit Vorurteilen gegen Ostdeutsche konfrontiert wurde.

Der 1. März bildete den Abschlusstag der diesjährigen Geschichtsmesse. Am Vormittag wurden die aktuellen Angebote der Bundesstiftung Aufarbeitung in einem kurzen Clip vorgestellt. Die neue Ausstellung „Frauen im geteilten Deutschland“ der Bundesstiftung Aufarbeitung bildete die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen in der BRD und DDR in den 1970er und 1980er Jahren gleichermaßen ab. Auf dem Abschlusspodium diskutierten die Teilnehmer die Frage, wie resilient unsere Demokratie im wiedervereinten Deutschland ist. Unter der Moderation der Journalistin Tamina Kutscher kamen Markus Meckel als Ratsvorsitzender der Bundesstiftung, Maximilian Steinbeis vom Verfassungsblog und Autor des „Thüringen-Projekts“ sowie die polnische Soziologin Prof. Dr. Karolina Wigura von der Universität Warschau zu Wort.

 

Wir bedanken uns bei den Organisatoren der diesjährigen Geschichtsmesse für das vielseitige und zeitgemäße Programm und freuen uns bereits auf die kommende Messe im Ringberghotel 2026.