Erinnern – Aufarbeiten – Gedenken.
Mit dem 9. November verbinden wir zahlreiche Schlagworte, die uns an historische Marker hauptsächlich des letzten Jahrhunderts denken lassen. „Schicksalstag der Deutschen“ heißt es oft. In diesem Zusammenhang haben wir uns im vergangenen Jahr zur Veröffentlichung des Beitrags zum 9. November Gedanken gemacht, inwiefern das Wort „Schicksal“ hier zutrifft. Impliziert das Wort „Schicksal“ nicht, „dass dieser Tag dem rationalen Handeln von Menschen – und somit auch ihrer Verantwortung – entzogen ist? Kann es überhaupt sein, dass eine gleichsam höhere Instanz – wie eben das „Schicksal“ – die Fäden unserer Geschichte knüpft? Zum Guten wie zum Schlechten?“
Wie es unser Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, auf der Gedenkstunde im Bundestag 2018 ausdrückte, stellt uns der 9. November, „verdichtet in einem einzigen Datum, vor die wohl schwierigste und schmerzhafteste Frage der deutschen Geschichte: Wie konnte es sein, dass dasselbe Volk, das am 9. November 1918 den Aufbruch in demokratische Selbstbestimmung wagte, das in den Folgejahren auf so vielen Gebieten menschlichen Strebens Fortschritte feierte, das in seinen Konzertsälen Symphonien lauschte und in seinen Nachtclubs Swing tanzte, dessen Wissenschaftler Nobelpreise gewannen, dessen Arbeiter genossenschaftliche Siedlungen bauten, dessen Künstler Traditionen über den Haufen warfen, wie konnte es sein, dass dieses selbe Volk innerhalb weniger Jahre in demokratischen Wahlen Demokratiefeinden zur Mehrheit verhalf, seine europäischen Nachbarn mit Krieg und Vernichtung überzog, wegschaute, wenn nicht gar gaffte und jubelte, wenn daheim in der eigenen Straße jüdische Nachbarn, Homosexuelle, seelisch Kranke aus ihren Häusern gezerrt wurden, abgeführt von den Schergen eines verbrecherischen Regimes, eines Regimes, das jüdische Familien in Viehwagen pferchte und Eltern mit ihren Kindern in Gaskammern schickte?“ Darauf kann es keine Antwort, keine historische Einordnung geben, die das Herz erleichtern oder das Gewissen beruhigen könnte. Eine Antwort nur in Worten wäre zu wenig, die Antwort muss auch im Handeln liegen. Wir brauchen die aktive Erinnerung und Aufarbeitung um die Grundmauern unserer heutigen Demokratie nachhaltig zu stärken. Dabei kann uns der 9. November eine Orientierung geben. Uns auch an das denken lassen, was durch den 9. November viele Jahre später erreicht wurde. Es ist den mutigen Frauen und Männern zu verdanken, die 1989 in so vielen Orten auf die Straßen strömten und den Weg zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geebnet haben. Ohne diesen Freiheitswillen, ohne diese friedliche Revolution und ohne ihren Mut wäre es vielleicht nicht zum Fall der innerdeutschen Mauer am 9. November 1989 gekommen. Und darf uns der 9. November nicht auch deshalb Mut und Hoffnung geben? Der 9. November plädiert im Hinblick auf die deutsche Geschichte dafür beides anzunehmen: die Scham und Trauer über die Opfer, aber auch den Respekt und Wertschätzung für die Wegbereiter unserer Demokratie.
Mit Blick auf den andauernden Krieg Putins in der Ukraine und den schrecklichen Ereignissen im Nahen Osten scheint es, als ob der 9. November noch einen langen Schatten wirft. Für alle 9. November, die noch kommen werden, hoffen wir deshalb vor allem auf eins: Frieden. „Sofort, unverzüglich.“